„Ein Roman unserer Zeit – dicht, schnell, verwoben und was am Ende zählt, ist unsere eigene Einstellung zur Welt.“
[...] Peter flog über die kühle, felsige Landschaft als wäre er selbst ein Wind, ein Teilchen, losgelöst von allem, frei, endlich entkoppelt von der beschwerlichen, materiellen Welt. Der Himmel war klar, die Sonne schien, er spürte ihre Wärme dort, wo er sein Gesicht fühlte. Der Rest schien körperlos. Er nahm es nicht bewusst war. Er nahm wahr, dass er seinen Körper nicht spürte, aber er hätte dieses Gefühl nicht erklären können. Peter drehte seinen Kopf etwas nach rechts und sah schneebedeckte Bergspitzen, kleine Wölkchen, die sich hier und da an den Hängen festhielten und dieses unendliche Blau des Himmels. Er drehte seinen Kopf noch etwas mehr nach rechts und sah, wie er die Landschaft langsam hinter sich ließ. Aber welches Gebirge war das? Würde er ein Gebirge erkennen, auch wenn es noch so bekannt war, während er daran vorbeiflog?
Plötzlich nahm er jemanden an seiner rechten Seite wahr. Er drehte seinen Kopf noch einmal. Eine Frau flog neben ihm. Peter sah in die andere Richtung. Dann drehte er seinen Kopf wieder zu ihr – ja, eine Frau flog neben ihm. Und was ihn etwas beunruhigte: Es war nicht irgend eine Frau. Er kannte diese Frau. Er kannte sie aus alten Comics und aus neuen Filmen. Wie oft hatte sie gegen Bösewichte gekämpft und die Menschen gerettet, wenn sie mit ihren allzu schwachen Körpern nichts ausrichten konnten? Sie verband Klugheit, Stärke, Gefühl und wie oft hatte sich Peter in Tagträumen zu ihr gewünscht, um mit ihr zusammen gegen machtbesessene Kerle zu kämpfen. [...]
[...] Doktor Neuron steckte in einem ihn haltenden Korsett. Seine Beine waren in Schienen gespannt, sein Becken in einem Gurt festgehalten, sein Oberkörper samt Kopf still gehalten in etwas, das wie eine moderne, etwas luftige Rüstung aussah. Ohne Zweifel war diese Sache fest und stabil, denn Doktor Neuron befand sich darin aufrecht, so dass er Fran auf Augenhöhe ansehen konnte. Der Doktor blickte quicklebendig in ihre Richtung – offenbar sah er ihre Gestalt, denn er fing an zu sprechen.
„Fran, danke, Sie sind aufgestanden“, seine Stimme klang so weich als würde er zu einem Baby sprechen. Sie war überrascht. Es schien ihm wirklich wichtig, dass sie da war. Sie wusste nicht, was sie mit dem Gefühl, das dazu in ihr auftauchte, tun sollte. Eine Mischung aus berührt, traurig und wütend sein erhaschte sie, bevor sie es wegwischen konnte. Sie sagte nichts, sie wusste nicht, ob er sie hören würde. Sie wollte nichts sagen.
Er hatte einen hellblauen Overall an und sein Kopf war rasiert, sogar seine Augenbrauen.
„Normalerweise sind die Klienten nicht wach, Fran, aber ich will wach dabei sein. So lange wie möglich.“ Er sagte nicht Patient, er sagte Klient. Sie fand es tatsächlich das bessere Wort für dieses Situation.
Fran hatte schon lange verstanden, dass der Doktor bis zu seinem körperlichen Tod alle erdenklichen Erlebnisse und Empfindungen bewusst sammeln wollte. Sein Wunsch wunderte sie nicht. Sie fand ihn widerwärtig und mutig, beides.
Über Doktor Neurons Kopf hing etwas, das aussah wie eine riesige Haube beim Friseur, aus der vier Roboterarme heraushingen. Eine Schwester ging zu Doktor Neuron, prüfte etwas an ihm, fragte ihn, ob er Schmerzen spüre, während sie ihn offensichtlich mit einem spitzen Gegenstand in die Kopfhaut pieckste.
„Nein, ich spüre keinen Schmerz, danke“, sagte er, sie nickte.
„Sind Sie bereit, Doktor?“, die Stimme kam sehr klar aus einem Lautsprecher. „Wenn Sie bereit sind, fangen wir an zu operieren.“
„Fran, sehen Sie, mein Kollege wird hinzugeschaltete und prüft, ob der Roboter die Operation ordnungsgemäß durchführt. Es geht alles aus der Ferne.“
Ja, dachte Fran, nur die Schwestern, die brauchst du. Und sie fragte sich, wie dieses Frauen dazu akquiriert werden konnten, um diesen Job, der eine Szene aus einem Horrorfilm sein konnte, überhaupt durchzuführen. Sie hatte keine Antwort darauf.
Doktor Neuron nickte der Stimme aus dem Lautsprecher zu. Offensichtlich das Zeichen, um zu beginnen.
„Es geht los“, sagte die Stimme aus dem Lautsprecher und die Roboterarme fingen an sich langsam zu bewegen. [...]
[...] Es war wenige Wochen vor den Sommerferien in einer Middle School für Mädchen in Albany, etwa 140 Meilen entfernt von New York, im Jahre 1984 als Frans Biologielehrerin, Miss Goodman, das spannendste Organ des Menschen, wie sie es selbst eine Woche zuvor genannt hatte – und vielleicht meinte sie es sei das spannendste Organ aller Lebewesen oder zumindest der Säugetiere – im Unterricht vorstellte.
Das zwölfjährige Mädchen Fran Milmer, Frans Mädchenname, blickte auf die Wandprojektion eines illustrierten Gehirns einer Spitzmaus (das im Vergleich zu den anderen Gehirnen kaum zu sehen war), auf das eines Schimpansen (etwas komisch in der Form und viel kleiner als das des Menschen), auf das Gehirn des Menschen (das Fran wunderbar rund und kompakt fand) und das eines Elefanten (was beeindruckend groß wirkte mit seinen 5 kg, aber das Fran etwas zu luftig fand mit seinen riesigen Abständen zwischen den Wulsten und Gedärmen).
Miss Goodman war üblicherweise (insbesondere bei Pflanzen und Tieren) keine herausragende Biologielehrerin gewesen, sie wirkte oft gelangweilt, aber bei diesem Thema –dem menschlichen Gehirn – schien sie wie eine andere Person.
Sie hatte den Unterricht mit größter Begeisterung vorbereitet und sogar ein gelblich eingelegtes und leicht zerfasertes Gehirn irgendeines toten Mannes im Glas aufgetrieben und mitgebracht. Als sie es enthüllte (ein schwarzes Tuch wie das eines Zauberers hatte sie auch dabei!) genoss sie das von Ausrufen untermalte Staunen der Klasse und war in ihrem Rundgesicht rötlich stolz auf diesen Fang, den sie als Leihgabe bezeichnete. Allerdings hütete sie das Geheimnis sehr sicher, woher dieses eingelegte Gehirn stammte.
Das Glas mit dem Mannshirn wurde nicht herumgereicht. Dazu war es viel zu kostbar. Die Schülerinnen sollten paarweise nach vorne kommen und sich das Gebilde in Ruhe ansehen. Während die Schülerinnen in angespannter Ehrfurcht und unaufhaltbarer Neugier nacheinander zu Miss Goodmanns Tisch schwebten, erklärte Miss Goodman was sie sich da ansahen.
Die Finger und Augen der Schülerinnen betrachteten das Glas und mindestens die Hälfte aller Münder stand weit offen. Miss Goodmann stand würdevoll vor der Tafel und sprach zu ihren Bewunderinnen.
„Hier seht Ihr das Gehirn eines 62 jährigen Mannes, der im Jahr 1967 an einem Herzinfarkt gestorben ist. Das Besondere an diesem Gehirn ist, dass ein Stück fehlt und der Mann trotz allem, so wurde mir berichtet, ein ganz normales Leben führte…“
Fran saß weit hinten und würde erst als Letzte dran sein und dieses faszinierende Ding ansehen können. Was sie zuerst bedauerte, dann jedoch ihre Chance begriff, denn kein Pärchen würde mehr auf sie warten müssen. Von Weitem versuchte sie etwas in diesem Glas zu erspähen, sich einen Reim darauf zu machen, wovon Miss Goodmann sprach, aber erst als sie davor stand und eine weitere Erklärung zu dem Gehirn hörte, konnte Fran ihren eigenen Mund nicht mehr schließen.
[...]
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